Ohne Kenosis keine Synodalität oder Gemeinsam „Wege gehen“ statt wegzugehen

Artikel von Dr. Markus Demele, Generalsekretär Kolping International, zur Weltsynode

Vollkommen zurecht mahnte Christoph Brüwer Anfang Oktober auf diesen Seiten, die Weltsynode nicht zu vergessen. Nun kann man nur vergessen, was bereits einmal das Bewusstsein erreicht hat. Für die überwiegende Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken, selbst für Kirchen-Insider hat der im April dieses Jahres angekündigte internationale synodale Prozess hin zu einer Weltbischofssynode zum Thema „Synodalität“ im Jahr 2023 diese Aufmerksamkeit noch nicht erlangt. Möglicherweise ändert der zentrale Startgottesdienst im Vatikan und die eine Woche später erfolgenden diözesanen Eröffnungsgottesdienste dies ein wenig.
Eine enorme Chance ist der von Papst Franziskus angestoßene weltkirchliche Prozess des gemeinsamen Hörens in einer geschwisterlichen Weggemeinschaft sicherlich. Manche werden hinter diesem Prozess zunächst das Anliegen vermuten, die vielen nationalen synodalen Wege und Prozesse einzufangen. Man kann diese Einladung aber auch als authentischen Wunsch des Papstes lesen, in einem weltkirchlichen Dialog, wie ihn die Kirche noch nicht erlebt hat, Diskurs- und Artikulationsräume zu eröffnen, in die alle Menschen eingeladen sind, ihre Perspektiven auf die Zukunft der Kirche einzubringen. Es soll ein gemeinsamer Weg (syn-odos) sein, der dem Heiligen Geist Raum gibt, durch Frauen, Männer und Jugendliche, durch Laien, Kleriker, Ordensleute, durch Fromme wie auch weniger Fromme und sogar außenstehende Neues oder weiterhin Wichtiges ins Wort zu bringen. Die beiden Papiere, das Vorbereitungsdokument (VD) und das Vademecum des Synodensekretariats, nehmen die kirchliche Hierarchie in die Pflicht, neue Dialogformen zu suchen und wirklich alle zum Gespräch einzuladen und ihnen zuzuhören. Wird dies Wirklichkeit, besteht eine hervorragende Gelegenheit zu einer großen „communio“-Erfahrung.
Nun ist für Christen ja die Hoffnung im Glauben prägend, aber es scheint doch, dass die Hindernisse auf diesem Weg ungleich größer sind als die Chancen. Zuvorderst stehen organisatorische Probleme. Von Oktober 2021 bis April 2022 soll der Austausch in den Diözesen stattfinden. Die Ergebnisse werden von den nationalen Bischofskonferenzen zusammengefasst, und schon im November 2022 soll das erste Instrumentum laboris aus Rom verschickt werden. Dieses wird dann wieder national sowie kontinental diskutiert und führt zu einem überarbeiteten Instrumentum laboris 2 im Juni 2023. Der Text wiederum soll dann im Oktober bei der Weltbischofssynode diskutiert werden. Selbst für die großen Diözesen mit eingespielten Kooperationsstrukturen zwischen Gremien, Bistumsleitung und Verbänden ist dies eine kaum zu stemmende Herausforderung, wie man aus den Ordinariaten hört. Hinzu kommt, dass die o.g. Dokumente bisher nur in neun Sprachen vorliegen. Um den weitreichenden Beteiligungsansprüchen des Vatikans nachzukommen, reicht dies mitnichten. Überhaupt ist die Kommunikation des Generalsekretariats nicht auf einen solchen Prozess ausgelegt. Korrespondenzen bleiben bisher unbeantwortet und Pressekonferenzen in Rom reichen allein nicht aus, um dieses globale Verfahren bekannt zu machen. Die hohen Selbstansprüche an Weggemeinschaft und die Inklusion gerade marginalisierter Gruppen, die aus dem VD sprechen, verpuffen angesichts des Zeitplans und der investierten Ressourcen. Dem Vertrauen in die Ernsthaftigkeit des Verfahrens ist dies nicht zuträglich. Wie zudem eine Endredaktion aus möglicherweise extrem unterschiedlichen Rückmeldungen der Weltkirche in Inhalt, Stil und theologischem Niveau gelingen soll, braucht viel Phantasie oder die Erkenntnis, dass wohl manche Beiträge schlicht unberücksichtigt bleiben werden.
Ein weiterer Hemmschuh ist das unklare Verhältnis zu den laufenden nationalen synodalen Wegen. Diese sollen in „kreativer Weise“ mit dem gesamtkirchlichen Prozess „koordiniert“ werden (Kapitel 1 im Vademecum). Wie soll dies gelingen, wenn ungleiche Zeitpläne und sehr verschiedene
Mitbestimmungsverfahren aufeinandertreffen? Entweder können nur Zwischenstände der Beratungen nach Rom geliefert werden, oder gänzlich andere Synodalstrukturen erarbeiten Parallelrückmeldungen zum nationalen synodalen Verfahren. Beides ist unbefriedigend und wird Enttäuschungen hervorbringen.
Das zentrale Problem jedoch liegt in der Weigerung der kirchlichen Hierarchie, den Laien, wie etwa beim Synodalen Weg in Deutschland, neben den Mitsprache-, auch Mitentscheidungskompetenzen einzuräumen. Das Instrument der Bischofssynode ist kirchenrechtlich eh nur auf die Beratung des Papstes ausgelegt, der vollumfänglich selbst entscheidet, was er mit den Beratungsergebnissen macht. Das VD macht zudem klar, dass Rom zwar die „Bitte um größere Wertschätzung der Frauen“ hört (Nr. 7), aber dass mit dem Konzilstext Dei Verbum gesprochen, die Hirten, „die von Gott als authentische Hüter, Ausleger und Zeugen des Glaubens der ganzen Kirche“ bestellt sind. Noch deutlicher in der Nr. 8: „Die Konsultation des Gottesvolkes bringt keineswegs die Übernahme der Prinzipien der Demokratie, die auf dem Mehrheitsprinzip beruhen, im Innern der Kirche mit sich.“ Das Wirken des Heiligen Geistes im liebevollen Austausch der Gläubigen mit ihren Hirten – cantus firmus beider Dokumente der Synode – findet seine Grenze weiterhin in der Mitentscheidung der Schafe.
Eine Prognose mit Blick auf das Jahr 2023 sei gewagt: die wunderbare und das Katholische bereichernde Vielfalt der Weltkirche wird im Instrumentum laboris geschliffen werden, um ein möglichst großes Maß an weltweiter Uniformität zu erzielen. Mutige Vorstöße bzgl. der Themenfelder Macht, Sexualität und vor allem der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Dienstämtern werden spätestens im Nachsynodalen Schreiben des Papstes keine Erwähnung mehr finden. Wie nach der Amazonas-Synode wird jede und jeder aus den Dokumenten das herauslesen können, was dem eigenen Kirchenbild entspricht. Strukturelle Veränderungen, erhebliche Kompetenzzuwächse für die Ortskirchen durch synodale Prozesse vor Ort, wird es maximal in homöopathischen Dosen geben. In den meisten Diözesen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas wird der Prozess ungehört verklingen. In den Ortskirchen Europas wird die Frustration ob einer reformunfähigen Universalkirche wachsen.
Was muss aber geschehen, damit Synodalität zu einem wahren Strukturmerkmal der Kirche wird – nicht nur im Stil, sondern wahrhaft in der Ausübung priesterlicher, königlicher und prophetischer Autorität, zu der alle Gläubigen berufen sind? Einen Weg dazu mag der paulinische Philipperhymnus (Phil 2,6-11) weisen. Die „Kenosis“ Christi, die freiwillige Selbstentäußerung des menschgewordenen Gottes, ist Paulus´ Versuch, Leben und Sterben Jesu zu deuten. Möglicherweise braucht es ebendiesen freiwilligen Verzicht auf die vermeintlich exklusiv sakramental erlangte Macht, um wirklich Antworten auf die Frage zu finden, die dem Vademecum zentral ist: „Welche Schritte lädt der Heilige Geist uns ein zu gehen, um als synodale Kirche zu wachsen

15.10.2021